Imshausen

Familiensitz - Kommunität - Stiftung

Der historische Sitz der Familie von Trott zu Solz ist als Ort unmittelbar mit dem demokratischen Denken im Widerstand gegen Hitler und dem Dritten Reich verbunden. Hier verbrachte Adam von Trott nicht nur Teile seiner Kindheit und Jugend, hier konnte er auch nach 1933 in sicherer Umgebung Freunde aus dem In- und Ausland treffen.

Es gibt kaum einen anderen Ort in Deutschland, der so eng mit Demokratie und Widerstand verbunden ist.

 

1947 und 1948 initiierten die Brüder Werner und Heinrich von Trott ein Netzwerk intellektueller „Vordenker“, das unter dem Namen „Gesellschaft Imshausen“ unter ausdrücklicher Berufung auf die Tradition des Kreisauer Kreises über grundlegende Neuordnungspläne für Deutschland nachdenken sollte. Teilnehmer waren unter anderem Walter Dirks, Eugen Kogon, Alfred Kantorowicz, Ernst Niekisch, Theodor Steltzer, Alfred Anders und Carl-Friedrich von Weizsäcker. Nach nur drei Treffen wurde diese Initiative aufgrund von Spannungen innerhalb der Gruppe und wegen des beginnenden Kalten Krieges aufgegeben. Danach diente das Herrenhaus im Trottenpark der von Vera von Trott, einer Schwester Adams, gegründeten Kommunität Imshausen als Lebens- und Arbeitsort.

1949 errichteten Werner und Heinrich von Trott zu Solz auf dem Tannenberg oberhalb des Dorfes ein weithin sichtbares Holzkreuz zum Gedenken an ihren ermordeten Bruder. Neben dem Kreuz befindet sich ein Gedenkstein. Seit 1984 finden hier jährlich am 20. Juli Gedenkfeiern statt, die die Stiftung gemeinsam mit dem SPD-Unterbezirk Hersfeld-Rotenburg trägt. Bundesweit bekannte Persönlichkeiten wie Ralph Giordano, Margot Käßmann, und zuletzt Außenminister Heiko Maas haben hier bereits gesprochen.

Von 1949 bis 1972 war es nicht nur der Lebensmittelpunkt der entstehenden geistlichen Gemeinschaft, sondern auch Aufnahmeort für Kinder und Jugendliche, die, durch Krieg, Flucht und Vertreibung entwurzelt, vor allem in den Nachkriegsjahren hier ein neues Zuhause fanden. Die 1955 durch Vera von Trott zu Solz, den Theologen Hans Eisenberg und anderen gebildete Kommunität Imshausen wurde im Laufe der Jahrzehnte zu einem wichtigen Zentrum der ökomenischen Begegnung und spirituellen Einkehr. Internationaler, religionsübergreifender Austausch und rege Kontakte auch über die wenige Kilometer entfernt verlaufende innerdeutsche Grenze hinweg nach Osten prägten die besondere Gemeinschaft an diesem Ort.

1986 beschloss die Kommunität eine Stiftung zu gründen, die nach Adam von Trott benannt wurde, und die die Aufgabe erhielt, das Andenken an den Widerstand zu bewahren, ein Zentrum für Begegnung zu sein und Impulse zum Lernen und Weiterdenken zu geben. Unter enormer Kraftanstrengung und mit Hilfe vieler Freiwilliger wurde die neben dem Herrenhaus liegende Scheune zum Tagungs- und Begegnungshaus umgebaut. Dieser durch ehrenamtliches Engagement, physische und geistige Arbeit und Begeisterung gerade auch junger Bauhelfer und -helferinnen geprägte Beginn der Stiftung war in seiner gemeinschaftsbildenden Bedeutung unermesslich für ihre spätere Arbeit und prägt den Geist dieses Ortes bis heute. Nach dem endgültigen Umzug der Kommunität auf den Tannenhof 1995, wurde ein Verein gegründet, der die Sanierung des Herrenhauses übernahm und der eng mit der Stiftung verbunden wurde.

Seit 1994 wurden erste Bausteine für die inhaltliche Arbeit der Stiftung gelegt. Zu gegebenen Anlässen und wichtigen Jahrestagen organisierten Vorstand und ehrenamtliche Mitglieder der Stiftung öffentliche Vorträge zu historischen und aktuell-politischen Fragen, Retraiten und Tagungen, Exkursionen und Workcamps für Jugendliche, sowie Kooperations-Veranstaltungen mit verwandten Organisationen wie der Kreisau-Initiative Berlin. Höhepunkt der Aktivitäten war dabei immer die seit 1984 stattfindende Gedenkveranstaltung zum 20. Juli 1944 am Kreuz auf dem Tannenberg, die nun die Stiftung (zusammen mit dem SPD-Unterkreis Rotenburg, die bis dahin alleinige Trägerin der Gedenkveranstaltungen gewesen war) plante und organsierte. Zudem rückte das Ziel, Imshausen zu einem Lernort zu machen, an dem „historische Erinnerungsarbeit im Hinblick auf die beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts“ geleistet wird, ab Mitte der 1990er Jahre stärker in den Vordergrund. Aus der geografischen Nähe Imshausens zur ehemaligen DDR-Grenze ergab sich ein spezifisches Interesse an Diktatur-Erfahrungen der Menschen in der DDR; ehemalige DDR-Bürger waren häufig anzutreffende Gäste in Imshausen, was die Perspektive der Stiftung über den NS-Widerstand hinaus erweiterte.

2001 gelang es der Stiftung schließlich, mit dem Theologen und ehemaligen Aktivisten der ökumenischen Friedensbewegung in der DDR Joachim Garstecki einen hauptamtlichen Studienleiter einzustellen und damit den gewachsenen Anforderungen an die inhaltliche Arbeit und den Erwartungen einer ständigen Präsenz vor Ort Rechnung zu tragen. Unter seiner Federführung konnten das Erscheinungsbild der Stiftung und ihre inhaltliche Arbeit weiterentwickelt, stärker strukturiert und verstetigt werden. Zum Beispiel wurden die monatlichen „Imshäuser Gespräche“ im Herrenhaus etabliert – öffentliche Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen, die bis heute ein festes und bewährtes Format der historisch-politischen Bildungsarbeit an diesem Ort bieten. Ihr thematischer Bogen spannt sich von historischen und erinnerungskulturellen Themen über aktuelle gesellschaftliche Fragen (Antisemitismus, Migration und Flüchtlinge, Rechtsextremismus, alternative Wirtschaftsmodelle, etc.) bis hin zu Fragen des Zusammenlebens und des gegenseitigen Verständnisses in Europa.

Auch eine Reihe von Tagungen und Konferenzen wurde organisiert: Im Oktober 2001, zum Bespiel, befasste sich die Tagung „Strafrechtliche Aufarbeitung der NS- und stalinistischen DDR-Vergangenheit in Deutschland und Polen“ mit der Verfolgung von Regierungskriminalität im NS-Staat, in der DDR und in der Volksrepublik Polen. Im Juli 2004 fand ein internationales Kolloquium zum Thema „Die Ökumene und der Widerstand gegen Diktaturen“ statt. Die Stiftung nahm hier den 60. Jahrestag des gescheiterten Attentates auf Hitler 1944 zum Anlass, um an die in Deutschland wenig bekannten intensiven Wechselbeziehungen zwischen ökumenischer Bewegung und europäischem, einschließlich deutschem Widerstand gegen die NS-Diktatur zu erinnern. Im Rahmen dieses Kolloquiums wurde das Tagungshaus – die ehemalige Scheune neben dem Herrenhaus – feierlich nach dem Theologen, Ökumeniker und Unterstützer des deutschen Widerstands Willem Visser’t Hooft benannt. 2007 erschien im Stuttgarter Kohlhammer Verlag zu dieser Tagung der von Joachim Garstecki im Auftrag der Stiftung herausgegebene Band „Die Ökumene und der Widerstand gegen Diktaturen. Nationalsozialismus und Kommunismus als Herausforderung an die Kirchen“. Diese Publikation erschien als Band 39 in der Reihe „Konfession und Gesellschaft” des Kohlhammer Verlages und enthält alle Beiträge der Tagung von 2004.

 

Einen weiteren inhaltlichen Meilenstein bildete eine Veranstaltungsreihe, die 2009 anlässlich des 100. Geburtstages von Adam von Trott stattfand. Junge Wissenschaftler*innen diskutierten in einer internationalen Konferenz mit dem Titel „The Heart of Europe: The Power of Faith, Vision and Belonging in European Unification” über die Grundlagen der europäischen Idee. (Einige der Beiträge wurden 2011 als Buch im Wehrhahn Verlag veröffentlicht.) Auch ein Schülerwettbewerb, eine Festveranstaltung, eine international besetzte Tagung in der Evangelischen Akademie zu Berlin wurden organsiert und eine Jugendakademie-Tagung in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Hofgeismar zum Thema „Engagement im Ausland“ ergänzte das Programm. An die Juristen im Widerstand erinnerte die Stiftung 2010 mit einer Tagung an den 100. Geburtstag von Friedrich Justus Perels. Gemeinsam mit der Martin-Niemöller-Stiftung und dem Dietrich-Bonhoeffer-Verein initiierte die Stiftung 2012 und 2013 zwei Tagungen zum Erbe der Bekennenden Kirche und ihrer Bedeutung für die Gegenwart.

Seit 2007 wurde die Organisation der Veranstaltungen vor Ort und des Gästebetriebs durch Ute Janßen als Geschäftsführerin betreut. Unter ihrer Leitung gewann die Zusammenarbeit mit den Schulen in der Region zunehmend an Bedeutung. Mit einer kleinen Arbeitsgruppe von Lehrer*innen und Lehrerausbilder*innen arbeitete sie am Ausbau und an der Verstetigung dieses Netzwerkes. Dazu wurden sowohl Formate für Studientage mit Schüler*innen, als auch für Lehrer*innen und Referendar*innen entwickelt und durchgeführt. Während ihrer Tätigkeit in Imshausen beschäftigte sich Frau Janßen auch wissenschaftlich mit dem Erinnerungsort Imshausen. Ihre Magisterarbeit aus dem Jahr 2014 trägt den Titel „Imshausen - Biographie eines Erinnerungsortes”.

Seit 2017 ist Imshausen in einer durch die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien geförderten Kooperation mit der Georg-August-Universität in Göttingen verbunden. Das Team in Imshausen wurde verstärkt und zahlreiche gemeinsame Veranstaltungs- und Workshopformate für unterschiedliche Zielgruppen durchgeführt. Dazu gehören neben Tagungen, Konferenzen und öffentlichen Vorträgen ebenso wie die Bildungsangebote für jüngere Menschen - Seminare für Studierende, Schülerworkshops, Democracy Camps und Veranstaltungen mit und für Schulen aus der Region. Insbesondere mit der Sontraer Adam-von-Trott-Schule verbindet die Stiftung eine langjährige Partnerschaft.

Ab Herbst 2020 soll die Bildungsarbeit in Imshausen durch eine neue Dauerausstellung über Adam von Trott bereichert und ausgebaut werden. Die Stiftung konnte mit dem Ausstellungsbüro „Exponauten“ einen kompetenten Partner hierfür gewinnen und die Vorbereitungen dafür sind im vollen Gange.

 

Vor dem Hintergrund seiner Geschichte ist Imshausen dafür prädestiniert, über die Entwicklung der Demokratie, über individuelle Verantwortung und Widerstand gegen autoritäre und menschenverachtende Regime und Haltungen nachzudenken. Junge Menschen aber auch Multiplikatoren wie Journalisten, Lehrer, Mitarbeiter von Gedenkstätten sollen erfahren, wie sich Demokratie entwickelt und wie es gelingen kann, dass Menschen dafür sensibilisiert werden, Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen und in schwierigen Situationen mutig zu handeln.

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